Dienstag, 26. September 2017

Das Reformationsjahr

Reformationsjahr: Ausklang mit Fest in Wien

Mit einem großen Fest auf dem Wiener Rathausplatz feiern die drei evangelischen Kirchen in Österreich am Samstag 500 Jahre Reformation. Das Fest ist Höhepunkt des Jubiläumsjahrs, das an die Veröffentlichung der 95 Thesen von Martin Luther erinnert.
Am 31. Oktober machte Luther seine Thesen publik - heuer ist genau das 500 Jahre her. Von 12.00 bis 22.00 Uhr wird daher am Samstag auf dem Wiener Rathausplatz „gesungen, gejazzt, getrommelt, gespielt, gelesen, gelacht und diskutiert“, verspricht das Festprogramm der von den evangelischen Kirchen Österreichs organisierten Abschlussfeier.
In 38 Pagoden-Zelten informieren die Evangelische Kirche A.B. (lutherisch), die Evangelische Kirche H.B. (reformiert) und die Evangelisch-methodistische Kirche sowie die Diakonie über ihre Themen und Einrichtungen. Auf drei Bühnen sollen unter anderen der Schauspieler Karl Markovics, Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee und der Aktivist Klaus Vogel auftreten.

Kinder- und Jugendprogramm

Die Evangelische Jugend bietet im Rathauspark verschiedene Stationen für Kinder und Jugendliche an, darunter einen Kletterturm, „Bubble Soccer“, eine „Chillwiese“ und eine Rätselrallye. Außerdem gibt es 38 Pagoden, in denen sich die Diakonie und die verschiedenen Arbeitsbereiche der Evangelischen Kirchen vorstellen.
Kabarett – wie etwa die Grazer Oliver Hochkofler und Imo Trojan mit ihrem österreichweit erfolgreichen „Luther 2.0 hoch 17“ –, Lesungen, Theater, Musical- und Chordarbietungen gehören zum umfangreichen Programm auf der zweiten Bühne im Rathauspark und im Rathauskeller.
Auf der Hauptbühne tritt am Samstagnachmittag der deutsche Kinderliedermacher Reinhard Horn mit einem großen Kinderchor auf. Mit dabei ist auch „die weltweit einzigartige Lkw-Konzertorgel“, wie der Pressedienst der Evangelischen Kirchen vorstellte. Was auf ihr gespielt wird, bestimmt das Publikum.

Pop, Gospel und Abendsegen

Ab 19.30 Uhr führt Regisseur und Schauspieler Karl Markovics auf der Hauptbühne mit eigenen thematischen Beiträgen durch das Abendprogramm. Dann liegt unter dem Titel „Sound of Heaven“ Musik in der Luft. Bach goes Beirut mit Marwan Abado, Paul Gulda und Peter Rosmanith, die virtuosen und Festival-erprobten Bläser Da Blechhauf’n, die angesagte Jazz-Funk-Groove-Elektro-Truppe 5K HD, der neuen Formation rund um Schmied Puls-Sängerin Mira Lu Kovacs mit ihrem neuen Album, mitreißender American Gospel mit Shelia Michelle und der Gruppe 4Real sowie das Orchester der PopAkademie der Johann Sebastian Bach Musikschule warten auf die Gäste des Fests, das um 22.00 Uhr mit einem Abendsegen endet.

Montag, 18. September 2017

Die evangelische Kirche von Siofok

  • Die moderne Evangelische Kirche in der Form eines umgestülpten Holzschiffes plante Imre Makovecz. Das Holz für diese durchgehend zimmermännische Konstruktion spendierte die finnische Partnerstadt Oulu. Die „Kirche ist ein besonderes Schmuckstück von Siófok“, schreibt der Bürgermeister auf der Website der Stadt.












Die Kirche wurde fast vollständig aus Holz in der Tradition der nordischen Stabkirchen geplant und zeigt ein umgestülptes Boot. Allegorisch wird damit die Sintflut dargestellt. Das Tor, welches man je nach Ansicht als Eule, Engel oder nordischen Helm betrachten kann soll die Tolleranz der evangelischen Kirche zeigen. Das Kreuz sitzt auf einer aufgehenden Rose, welche das Zeichen Luthers darstellt. Lukas Cranach der Jüngere hat diese Rose für den Reformator entworfen. Heute ist die Lutherrose das Zeichen der Evangelischen nach Augsburger Bekenntnis.

In Ungarn ist ein Großteil der protestantischen Christen calvinistischen Glaubens, etwas 2/3 der rund 350.000 Protestanten sind Mitglieder der reformierten Kirche. In Siofok gibt es neben der lutheranischen auch eine calvinistische Kirche.


Samstag, 8. Juli 2017

Hus und Luther

„Wir sind ja alle Hussiten“ – Martin Luther und die böhmische Reformation
 
Deutschland feiert in diesem Jahr 500 Jahre Reformation. Damals hatte Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlicht. In Böhmen begann die Reformation jedoch mehr als einhundert Jahre früher. Jan Hus, der für seine Ideen in Konstanz als Ketzer verbrannt wurde, gehörte zu den einflussreichsten Reformern. Gerade sein Erfolg ebnete Martin Luther den weiteren Weg. Inwieweit ließ sich Luther von seinem böhmischen Vorläufer inspirieren? Und was war bei ihm anders?
 
Eigentlich hatten alle Reformer in der Geschichte des Christentums ein gemeinsames Ziel: die Kirche zu ihren biblischen Wurzeln zurückzuführen und ihr Leben nach dem Vorbild von Jesus Christus zu gestalten. Einigen Reformbewegungen des Mittelalters gelang das mehr oder weniger –vor allem bei den Orden war dies der Fall. Andere aber waren den katholischen Würdenträgern zu radikal, und die Reformatoren wurden als Ketzer verfolgt. So war es sowohl bei Jan Hus als auch bei Martin Luther. Mit dem Unterschied jedoch, dass sie jeweils in zu anderen Zeiten wirkten, was auch die Ergebnisse ihrer Bemühungen beeinflusst hat.
 
Zu Zeiten von Jan Hus kämpfte die Kirche mit dem Doppelpapsttum, die Bischöfe und weltlichen Herrscher wendeten sich Mal der einen, dann wieder der anderen Seite zu. Die Moral der kirchlichen Würdenträger verfiel, und die Gläubigen wurden für alle möglichen Dienste geschröpft. Der sogenannte Ablasshandel griff weit um sich – und das in ganz Europa. Die besten Voraussetzungen für eine Reformbewegung gab es da in Prag, sagt der Jesuit und Publizist Petr Kolář:
 
„Der wichtigste Grund war, dass Prag damals Hauptstadt des Römischen Reiches Deutscher Nation war. Deswegen waren die Beziehungen zwischen der Kirche und dem Staat hier viel angespannter als in ‚Deutschland‘. Damals gab es Deutschland im heutigen Sinne eigentlich auch noch gar nicht, sondern nur kleine territoriale Einheiten mit einem Adeligen an der Spitze. Dazu muss gesagt werden, dass sehr viele Studenten aus Prag ins Ausland gingen. Und von Studenten, die damals gerade aus England zurückkamen, nahm Hus etwas von der damaligen Stimmung auf.“
 

Prag – die unruhige Hauptstadt

 
Und die Stimmung war unruhig und deutete auf Aufbruch. Großer Beliebtheit erfreute sich auf der Insel vor allem der Theologe und Kirchenkritiker John Wyclif. Die Kirche habe nicht auf ihrem Eigentum zu sitzen, sonst habe der Staat das Recht, es ihr zu entziehen, predigte er unter anderem. Wyclif hatte in England auch politische Unterstützung. Als beispielsweise der Papst Geld für den Bau des Petersdoms in Rom forderte, lehnte der englische König dies ab.
 
Diese Gedanken brachten schließlich die Studenten in die Hauptstadt Böhmens. Jan Hus, Magister an der Prager Universität, fand schnell Gefallen an Wyclifs Ideen. Er verbreitete sie nicht nur an seinem Lehrstuhl, sondern auch von der Kanzel in der Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt, in der sich seine Zuhörer regelmäßig versammelten. 1393 stellte der Prager Erzbischof dem späteren Reformator Hus diese Kapelle sogar zur Verfügung. Die Situation wurde jedoch prekär, nachdem der Prediger die Unterstützung durch König Wenzel IV. verloren hatte. Das geschah Anfang des 15. Jahrhundert, erläutert Pieter Morée, Dozent an der Prager Karlsuniversität.
 
„Das war aber auch die Zeit, in der verschiedene Gruppen deutschsprachiger Akademiker an der Universität arbeiteten. Sie machten teilweise in der Reformbewegung mit und waren manchmal sogar radikaler als Hus. Erwähnen ließen sich Nikolaus von Dresden oder die Gruppe der Schwarzen Rose. Es gab natürlich ebenso deutschsprachige Gegner von Jan Hus, was mit den politischen Umständen und der unklaren Lage innerhalb der Kirche zusammenhing. Einige davon waren später als Gegner von Hus in Konstanz aktiv. Darunter waren ebenso tschechische Kollegen des Kirchenreformers. Wir können also nicht sagen, dass da Tschechen den Deutschen gegenüberstanden."
 
Der römische Papst belegt Jan Hus 1412 mit dem Kirchenbann und verbietet ihm zu predigen. Die Schriften von John Wyclif werden auf Befehl des Papstes in Prag öffentlich verbrannt, was einen Aufstand entfacht. Damit die Lage nicht weiter eskaliert, verlässt Hus die böhmische Hauptstadt und zieht mit einer Gruppe Anhängern durchs Land. Als drei Jahre später das Konzil in Konstanz beginnt, begibt er sich freiwillig dorthin, um seine Lehre vor den Kirchenvätern zu verteidigen. „Nur Gott und sein Wort dürfen mein Richter sein“, so glaubte er. Beim Konzil wird er aber als Ketzer verurteilt und am 6. Juli 1415 verbrannt.
 
Die kirchlichen Würdenträger irrten sich aber, als sie glaubten, die Lage in Böhmen dadurch beruhigen zu können. Petr Kolář:
 
„In Böhmen war die Situation inzwischen katastrophal geworden. Zunächst verfassten die Adeligen nach der Hinrichtung von Hus ein Traktat und protestierten. Das war der Auftakt zu sehr vielen gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Befürwortern und Gegnern von Jan Hus. Die Hussiten betrachteten sich selbst als die einzigen wahren Katholiken. Es kam zu gewaltsamen Kriegen, in denen sie zunächst einmal siegreich waren. Kreuzzüge wurden nach Böhmen geschickt und allesamt geschlagen. Die Hussiten verrohten aber durch die Grausamkeiten der Zeit. Dadurch verlor das Hussitentum dann langsam auch die Unterstützung des Volkes und der Adeligen in Böhmen.“
 
Insgesamt vier Kreuzzüge werden aus Rom gegen die hussitischen Rebellen geschickt. Die katholische Propaganda verbreitet ein sehr negatives Bild von Böhmen. Seit dem Konzil in Konstanz gilt es als ein barbarisches Land, das eine Gefahr für die seine Umgebung darstellt und das man am besten meiden sollte. Tatsächlich plündern die Hussiten viele Städte und gehen weit über die Grenzen Böhmens hinaus auf ihre Raubzüge.
 
Auch auf Martin Luther hat dieses Bild einen starken Einfluss. Er kennt den „Fall Hus“ seit seiner Studienzeit, er liest sogar die Protokolle des Konstanzer Konzils. In seinen ersten Schriften beschreibt er Hus als einen falschen Reformer. Erst später ändert er seine Ansicht, betont Pieter Morée.
 
„Luther war ja Augustiner und wohnte längere Zeit in Erfurt, wo Johannes Zachariä begraben wurde. Dieser war einer der Gegner von Jan Hus beim Konzil in Konstanz gewesen. Aber schon in den 95 Thesen von 1517 sieht man, dass Luther davon überzeugt ist, Hus sei zwar Ketzer gewesen – aber dass man mit Ketzern reden sollte, anstatt sie umzubringen. Das war der erste Schritt. Dann kam 1519 eine große Konfrontation mit Johannes Eck, einem der größten Theologen und Intellektuellen seiner Zeit. Er kam aus Ingolstadt in Bayern und sah sich als eine wichtige Person, um Luther zu korrigieren. Es fand also eine Debatte in Leipzig statt, in der Eck gesagt haben soll, Luther sei eigentlich ein neuer Hus. Das Witzige ist, dass diese Debatte am 5. Juli 1519 stattfand, am Vorabend des Jahrestags der Verbrennung von Hus. Luther nahm diesen Vorwurf auf und sagte, eigentlich habe Eck Recht. Gerade im Fall Hus könne man sehen, dass sich die Kirche geirrt habe. Hus sei ein guter Mensch gewesen.“
 
Luther – der neue Hus?
 
Diese Debatte bewegt Luther laut den Historikern dazu, das wichtigste Werk von Jan Hus mit dem Titel „De Ecclesia“ (Über die Kirche) zu lesen. Praktisch in allen Punkten soll er einverstanden gewesen sein: bei der Rolle der Priester und des Papstes, beim Verlauf der Heiligen Messe oder auch bei der Lehre über die Sakramente. Danach schreibt Luther einen Brief an einen seiner Freunde, in dem der bekannte Satz steht: „Ohne es zu wissen, sind wir alle Hussiten.“ Der böhmische Reformer ist für Luther nun der Heilige, den die Kirche verbrennen ließ.
 
Doch Luther hatte im Unterschied zu Hus Glück: Er genoss die Gunst seiner Herren. Nachdem ihn der Papst zum Ketzer erklärte, ließ ihn der sächsische Kurfürst Friedrich III. auf die Wartburg entführen, was ihm höchstwahrscheinlich das Leben rettete. Und obwohl Luthers Ideen auch im deutschsprachigen Raum nicht eindeutig angenommen wurden, kam es nicht zu solch grausamen Konflikten wie in Böhmen. Ist das aber der Grund, warum heute Jan Hus im europäischen Kontext wie eine „graue Maus“ wirkt, wie 2015 die Zeitung „Die Welt“ schrieb? Der gebürtige Niederländer Pieter Morée meint, dass dies mit dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts zu tun hat.
 
„Die Nationalbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts brauchten ja Helden. Was ist aber ein Held für die Nation? Das ist jemand, der sich irgendwie opfert und etwas für die Identität und für das Dasein des Volkes gemacht hat. Bei Luther war klar, er hat die Bibel übersetzt – das heißt, er hat dem Volk die Sprache und deshalb die Identität gegeben. Luther wurde also zum Helden der deutschen Nation. Auf der tschechischen Seite lief das ähnlich: Hus wurde zum Helden, weil er sich nicht für die Sache Gottes opferte, sondern für die Nation. Er hat der Nation ihr erstes Gesicht gegeben. In dieser Auseinandersetzung entsteht das Bedürfnis zu definieren, wer zuerst gekommen ist und wer von wem abhängig war.“
 
Bis zum 19. Jahrhundert verstand sich die europäische Reformation als ein gemeinsames Werk zahlreicher Persönlichkeiten aus verschiedenen Zeiten. Es gibt auch Gemälde, auf denen alle Reformer gemeinsam an einem Tisch sitzen. Heutzutage kehren die Kirchen wieder zu dieser Interpretation zurück. Denn wie der alte Spruch sagt: Die Kirche muss immer wieder reformiert werden.
 
 

Mittwoch, 19. April 2017

Unser Jahr


Martin Luther - Eine Rückschau aus dem Standard

Martin Luther: Ein Bild von einem Mann

Wer war Martin Luther? Eine Reise nach Wittenberg, um dem Geist des Reformators auf die Spur zu kommen Lutherstadt Wittenberg. Hundert Kilometer südwestlich von Berlin gelegen, hier beginnt Sachsen-Anhalt. Vom vibrierenden Berliner Hauptbahnhof gelangt man mit dem ICE in 40 Minuten in das Städtchen an der Elbe und ist schlagartig in einer anderen Welt. Es ist vor allem eines hier: still. Ein Büchertisch mit Luther-Lektüre im Bahnhofskiosk als schüchterner Vorbote, was einen in der historischen Altstadt erwarten wird. Der Bus ins Zentrum verkehrt nur im Stundentakt. Die Wartenden am Busbahnhof an diesem Donnerstagnachmittag, hauptsächlich afrikanische junge Männer, sie stehen in Grüppchen, unterhalten sich leise, spielen mit ihren Handys. Im Hotel Schwarzer Bär erklärt man mir, dass hier kein Mensch mit dem Bus fahre, ein dichtes Verkehrsnetz lohne sich nicht. Tatsächlich wirkt die Altstadt seltsam verlassen, die rund 50.000 Wittenberger sind anderswo, das historische Viertel überlassen sie den Besuchern der Welterbestadt, die hierherkommen, um dem Reformator auf einer Magical-Mystery-Tour näherzukommen. Besuchern wie mir. Der Bezirk innerhalb des ehemaligen Stadtgrabens zieht sich entlang der Collegienstraße und der Schlossstraße, beginnend beim Lutherhaus und endend bei der Schlosskirche mit ihrer berühmten Thesentür. Geht man diese historische Meile ab, passiert man praktisch alle wichtigen Stationen der Wittenberger Reformation, die Gedenktafeln an den fast vollständig sanierten Häusern lesen sich wie ein Who's who der handelnden Personen; neben Luther vor allem der Theologe Philipp Melanchthon und Pfarrer Johannes Bugenhagen. Und natürlich die allgegenwärtigen Cranachs, die patenten Maler, sie machten die Wittenberger Reformatoren zu Lebzeiten zu Kultfiguren und prägen heute das Stadtbild. Ihre Luther-Porträts schmücken heute "Luther-Nudeln", "Luther-Wein" und Luther-Bierdeckel. Sie verfolgen mich bis in den Schlaf, über dem Bett in meinem Hotelzimmer wacht der Reformator, Copyright Lucas Cranach der Ältere. Wären da nicht das Einkaufszentrum hinter der Stadtkirche, mit H&M und Deichmann, sowie eine Metzgerei und eine Apotheke, man würde sich in einer Filmkulisse wähnen, so historisch ist hier historisch. In das Dornröschenhafte der spätmittelalterlichen Dorfidylle mischt sich eine Ahnung von der Zeit vor der Wende, zwischen den Fachwerk-Puppenstuben und den pittoresken Torbögen der Renaissancehäuser stehen Läden leer, haben Schaufenster ihre Dekoration gefühlt seit Generationen nicht verändert. Es geht gemächlich zu in Wittenbergs Altstadt. In diesem Jahr soll das anders werden. Wittenberg rüstet sich, wie die anderen Luther-städte auch, für das Jubiläumsjahr. Höhepunkt ist die Weltausstellung Reformation (von 20. Mai bis 10. September), ein Teil davon die Ausstellung Luther und die Avantgarde. Luther, dem Avantgardisten, sollen heutige Vorreiter gegenübergestellt werden, 70 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt Antworten auf die drängenden Fragen von heute geben. Ausstellungsort ist das Alte Gefängnis in Wittenberg, das eigens für die Ausstellung instand gesetzt und öffentlich zugänglich gemacht wird. In ehemaligen Zellen, im Gefängnishof und auf der Fassade zeigen Künstler ihre Arbeiten zum Thema Freiheit. Auch Erwin Wurm steuert eine Skulptur bei, Boxhandschuh der Titel. Bis zum Start dieses Reformationssommers, also bis 20. Mai, werkelt die Stadt aber noch an einigen Baustellen. 33 Millionen lässt man sich die Sanierung des Schlosses kosten, zurzeit sind der Hof und der Zugang zur Schlosskirche nicht begehbar. Die Witterung in Wittenberg und archäologische Funde kamen den Bauarbeiten in die Quere. –
Sind die durch Regengüsse beschädigten Teile des Gebäudes aber einmal trockengelegt, wird hier die reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek einziehen. Und die in Scharen zu erwartenden Besucher (immerhin ist das Tor der Schlosskirche ja Schauplatz der Thesenanschlagslegende und ruhen Luther und Melanchton hier) können dann über nagelneue Granitplatten zum Besucherzentrum wandeln. Bürgermeister Jochen Kirchner ist zuversichtlich, dass der neue Schlosshof bis Ende Mai fertig wird, der Taxifahrer (ich mache es wie die Wittenberger und fahre nicht mehr mit dem Stundentaktbus) gibt sich am nächsten Tag weniger optimistisch. "Wird wohl nich ganz feddich werden." Nicht ganz fertig sind auch die Sanierungsarbeiten im Innenhof des Lutherhauses. Friedlich fällt das Sonnenlicht am Vormittag auf die Baufahrzeuge, zartes Brummen erfüllt den prächtigen Renaissancehof. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, beschwerte sich doch Luther zeit seines Lebens über Baulärm vor seiner Wohnstatt. Und gebaut wurde hier praktisch immer. Bevor Martin Luther heiratete, lebte er hier im Augustinerkloster als Mönch. Als im Zuge der Reformation das Schwarze Kloster aufgelöst wurde, blieb Luther fast als Einziger zurück. Mit dem kontemplativen Leben war Schluss, sobald Luther überraschenderweise heiratete, Katharina von Bora hier einzog und die spartanische Klause in einen florierenden Wirtschaftsbetrieb verwandelte. Die ehemalige Nonne machte aus der chronischen Geldnot eine Tugend, vermietete Zimmer an Studenten, legte Gärten an, braute Bier, betrieb Viehzucht und managte den immer größer werdenden Haushalt wie ein Unternehmen. Gewinne wurden in neuen Grundstücken angelegt, mit den Erträgen der jahrelange Umbau finanziert. "Wenn ich ein Haus bauen wollt', so wollt ich's wahrlich in diesen Säustall nicht bauen", jammerte Luther 1532, aber in Wahrheit konnte er froh sein, dass Katharina die immer größer werdende Luther-Community so patent organisierte. Der Haushalt wuchs zu einem der größten in Wittenberg heran. Zwischen 35 und 50 Personen wohnten in dem Haus, neben den eigenen sechs Kindern und Muhme Lene noch verwaiste Nichten und Neffen, Studenten, Hauslehrer, Angestellte, Sekretäre, Assistenten, Köchin, Knechte, Mägde, Kutscher und Schweinehirt. Nicht zu vergessen Gäste und Freunde, die zum Essen kamen und zum Diskutieren blieben, die "Tischgenossen". Ein leichter Schauer überfällt einen in der "Lutherstube", die originalgetreu erhalten und immer wieder restauriert wurde. Am knarzigen Eichentisch meint man Luther seine Tischreden schwingen zu hören und erahnt Katharina, mit dem Bierkrug im Türrahmen stehend. Es ist merkwürdig, wie hier, in der völlig leergeräumten, von Generationen zu Tode renovierten Lutherstube, plötzlich ein Wust von angelesenen Informationen, in Fernsehdokus aufgeschnappten Inszenierungen (Devid Striesow als feister Fanatiker) und medial verwässerten Wahrheiten auf mich einstürzt. Denn: Zu sehen gibt es nichts. Es bleibt Raum für die Vorstellung, wie der mit Gott hadernde, von Dämonen und in seinen frühen Jahren von Bußzwang gepeinigte Luther hier wirkte, Tag und Nacht schrieb und theologische Streitschriften durch ganz Europa jagte. Wie er zu Fuß 480 Kilometer nach Augsburg ging. Wie er dort sein Ketzerverfahren zum heiligen Drama hochpeitschte und nicht widerrief, was er vorher in 95 Thesen dem Papst hatte ausrichten lassen. Ex-Mönch und Ex-Nonne Als der 42-jährige Martin Luther am 13. Juni 1525 Katharina von Bora heiratete, da war er längst eine Berühmtheit. Kein Wunder, dass auch die Verehelichung des Ex-Mönchs mit der Ex-Nonne zu einem "Medienereignis" wurde. Das Doppelporträt der beiden, geschaffen von Lucas Cranach dem Älteren, ging in Serie und war bald in ganz Europa bekannt. Selbst im katholischen Venedig waren die Bilder populär. Acht Jahre zuvor hatte er die Thesen gegen die Ablasspraxis der Kirche veröffentlicht, 1520 seine drei wichtigsten theologischen Reformschriften (An den christlichen Adel deutscher Nation, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche und Von der Freiheit eines Christenmenschen) verfasst und die Bannbulle des Papstes verbrannt. Im Jahr darauf wurde er von Papst Leo X. exkommuniziert. Luther war nicht der Erste und auch nicht der Einzige, der die Papstkirche reformieren wollte, die Glaubensspaltung in Europa war das Werk vieler und ein längerer Prozess. Trotzdem war er schon für seine Zeitgenossen eine Kultfigur. Ich stehe auf dem Marktplatz, vor den original erhaltenen Cranach-Höfen, und stelle mir vor, wie von hier aus, von der sächsischen Kleinstadt Wittenberg in einem entlegenen Winkel des Heiligen Römischen Reiches, eine Medienlawine losrollte, die binnen weniger Jahre große Teile Europas erfasste. Der Buchdruck boomte, Lucas Cranach war die treibende künstlerische Kraft. Die lutherische Bewegung entstand auch, weil im richtigen Moment die richtigen Leute aufeinandertrafen. 1505 holt Kurfürst Friedrich von Sachsen Cranach den Älteren als Hofmaler nach Wittenberg (dieser hatte zuvor zwei Jahre lang in Wien gelebt), 1511 kommt Luther an die kurz zuvor gegründete Universität Leucorea in Wittenberg, um sein Doktorat zu machen. Jeder der beiden hätte wohl auch ohne den anderen Karriere gemacht. Aber in ihrer gemeinsamen Wirkung waren sie phänomenal. Cranach, der "schnelle Maler", ein extrem erfolgreicher Künstler und Unternehmer, Verleger, Apotheker und der reichste Mann in der Stadt –
Mit seinen Mitarbeitern fertigt er in seiner gut organisierten Werkstatt tausende Bilder und Grafiken an. Zeit ist Geld, erfolgreiche Muster werden aufgehoben und für spätere Aufträge wiederverwendet, auch für Luther gibt es eine Schablone. Fürsten- und Reformatorenporträts werden flugs adaptiert. Da mal ein grauer Bart dran, dort mal das Haupthaar weg. Das Ergebnis – immer auf höchstem künstlerischem Niveau. Die Porträts waren öffentlichkeitswirksam. Wir sehen heute Luther so, wie Cranach ihn malte. Als frommen Mönch, als volksnahen Junker Jörg, als gelehrten Doktor, als Ehemann. Luther, der Mann des Wortes, setzte also auch auf die Kraft der Bilder und auf die Macht der drucktechnischen Verbreitung. Und auf sein Logo, die Lutherrose, das Siegel, das er für seinen Briefverkehr verwendete. Zu Lebzeiten konnte er sein Image noch kontrollieren. Das sollte sich in den Jahrhunderten danach ändern. Das 18. Jahrhundert idealisiert die bürgerliche Familie, das Privatleben als Gegenwelt zum politisch autoritären System, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern wird aufgewertet und Gottesfürchtigkeit zelebriert. Da eignet sich Luther im Kreise seiner Lieben als Vorbild, der Reformator steigt auf zum Idealtyp männlich-bürgerlicher Existenz. Zur Zeit der Napoleonischen Kriege dann eine weitere Volte. National gesinnte Protestanten erkennen in Luther ein Vorbild kulturell fundierter Fremdenfeindlichkeit, die ab 1871 eine gefährliche Eigendynamik erhält, vor allem was Antikatholizismus und Antisemitismus angeht. Im Ersten Weltkrieg beschwören protestantische Theologen den "Luthergeist" und missbrauchen ihn für Durchhalteparolen, um den Deutschen das (Gottes-)Reich zu erhalten. Daran knüpfen deutschnationale Kreise dann nach 1918 an, die Vereinnahmung gipfelt im Jahr 1933, als sich Luthers Geburtstag zum 450. Mal jährt. Beim Festakt in Wittenberg am 10. September marschiert auf dem Hof vor dem mit Hakenkreuzfahne behängten Lutherhaus die Nazi-Prominenz auf, darunter der spätere "Reichsbischof" Ludwig Müller. Das Schwarz-Weiß-Foto ist im zweiten Stock des Museums im Lutherhaus ausgestellt, man kann dabei aus dem Fenster in genau diesen Hof schauen und sich die Szenerie vergegenwärtigen. Es modert ein bisschen Die größten Probleme mit Luther hatte wohl die DDR. Territorial gesehen war die DDR Lutherland: Eisleben als Geburts- und Todesort, Eisenach und Wittenberg als Wirkungsstätten. Aber zum Volkshelden taugte Luther ideologisch nicht (mehr). Man nahm ihm seine Rolle während des Bauernaufstands übel, den er nicht unterstützte und stattdessen die etablierten Herrschaftsverhältnisse verteidigte. Luther, der Verräter, der "Fürstenknecht" und "Bauernschlächter", quasi auf der anderen Seite der Klassenkampfbarrikade. Die atheistische DDR suchte sich einen anderen Helden der Reformation: Thomas Müntzer. Dieser war ein Zeitgenosse und zunächst auch Anhänger Luthers, radikalisierte sich aber im Bauernaufstand und stellte sich in Thüringen an die Spitze eines Bauernheeres; wurde gefangen, gefoltert und enthauptet. Für die DDR war die Reformation als soziale Bewegung interessant, Müntzer eignete sich als Ikone, als Sozialrevolutionär. Auch dieses Kapitel wird im Lutherhaus dokumentiert, aber es gibt eine noch spannendere Adresse für diesen Zeitabschnitt – das Haus der Geschichte in der Schlossstraße 6. Der Verein Pflug, eine von Historikern gegründete Initiative, hat hier ein ganzes Wohnhaus mit Alltagsgegenständen aus der mitteldeutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts bestückt. Es modert ein bisschen, wenn man durch das Schlafzimmer der 70er-Jahre, die Küche der 60er-Jahre oder das Jugendzimmer der frühen 80er-Jahre spaziert, und die ungelenken Schaufensterpuppen in ihren Originalinterieurs wirken ziemlich spooky, aber die Zeitreise in die DDR ist eindrücklich. Neben 70er-Jahre-Design und einem rekonstruierten Konsum-Laden (mit original Ostware) empfiehlt sich vor allem die Sonderausstellung im Hinterhof: Luther in der DDR. Fein säuberlich hat das Institut für vergleichende Staat-Kirche-Forschung Berlin hier Dokumente und Statistiken zusammengetragen, die die Indoktrinierung vor allem der Jugend illustrieren. 1966 wurde der Reformationstag abgeschafft, eine Zeitlang, so scheint es, konnten die Machthaber den Atheismus erfolgreich propagieren. Statt der Konfirmation wurde die "Jugendweihe" eingeführt, die SED (Margot Honecker, Ministerin für Volksbildung) fuhr ein strikt marxistisch-leninistisches Jugendprogramm. Christen und Kirchen nahmen diese Entwicklungen zwar nicht widerspruchslos hin, aber die Kirchenaustritte nahmen zu. "Die Menschen waren frustriert. In den kirchlichen Institutionen saß ja die Stasi", erzählt der Museumsguide. Das Jahr 1983 brachte Honecker und Co dann ziemlich in die Bredouille: Ein brisantes Doppeljubiläum stand an. Einerseits jährte sich zum 100. Mal der Todestag des sozialistischen Urvaters Karl Marx. Gleichzeitig konnte man nicht darüber hinwegsehen, dass auch der 500. Geburtstag von Martin Luther zu begehen war. Um die Sache halbwegs kontrollieren zu können, gründete die SED ein Martin-Luther-Komitee – mit Erich Honecker an der Spitze. Nicht zuletzt spekulierte man mit fetten Devisengewinnen von Touristen. Ein Foto zeigt Erich Honecker bei den Feierlichkeiten auf der Wartburg, Luthers Erbe war wieder gefragt. Das Ostberliner Kabarett Die Distel ätzte: "Mit Herrn Luther ist alles in Butter." Ich ziehe unwillkürlich den Kopf ein, als ich durch die historischen Räume mit der niedrigen Decke gehe, vorbei an den Zeitdokumenten hinter Glas. Und atme auf, als ich wieder ins Sonnenlicht und auf die gepflasterte Schlossstraße trete. 34 Jahre ins Jetzt. Wieder ein Jubiläum (bloß hat Marx diesmal keine Chance gegen Luther, zumindest nicht hier, in Sachsen-Anhalt). Wieder wird wohl an einem neuen Bild des Reformators geschliffen (gerade wird er von einigen auf seine Feminismustauglichkeit abgeklopft), wieder graben Historiker neue Details aus. Wie war er wirklich, der Reformator? "Ganz anders als wir", meinte der deutsche Historiker Thomas Nipperdey, der davor warnt, in ihm den "Vater der modernen Welt" zu sehen. Die Vergangenheit ist ein fremdes Land ... Und weil dem modernen Menschen fremde geografische Länder schon allzu vertraut sind, reist er so gerne in eine fiktive Vergangenheit. In Wittenberg steht dazu das nagelneue 360-Grad-Panorama von Yadegar Asisi zur Verfügung, er hat das historische Rundbild mit digitalen Mitteln in ein Erlebniskino übersetzt. Auf einer haushohen Plattform stehend blickt man auf ein 1100 m2 großes hyperrealistisches Wimmelbild. Ein Best-of aus Luthers Leben in Originalkostümen und im historischen Setting. Es kräht der Hahn, es klappern die Hufe. Ein Blitz fährt in den Dom. Na bitte, da ist er endlich, der ganze Luther. In 3-D. (Clarissa Stadler, 15.4.2017) Clarissa Stadler ist Autorin und ORF-Journalistin. Sie moderiert die Sendung "Kultur-Montag" und lebt in Wien.

Donnerstag, 23. Februar 2017

Ausstellung in Wien


BRENNEN FÜR DEN GLAUBEN. 
WIEN NACH LUTHER

16. Februar 2017 bis 14. Mai 2017
Mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel gab Martin Luther 1517 die Initialzündung für die Reformation. Zum 500-Jahr-Jubiläum erinnert das Wien Museum daran, dass selbst Wien für einige Jahrzehnte eine mehrheitlich protestantische Stadt wurde.

Um 1500 veränderten Renaissance und Humanismus, die Entdeckung Amerikas und die Erfindung des Buchdrucks die Weltsicht in Europa grundlegend. Auch Wien war im Wandel: Die Universität blühte auf, wichtige Gelehrte wirkten in der Stadt. Luthers Ideen fielen auf fruchtbaren Boden, auch Kaiser Maximilian II. fand daran Gefallen. Doch dessen Nachfolger duldeten keinen evangelischen Gottesdienst. Der Bevölkerung blieb das „Auslaufen“ in die adeligen Schlösser der Umgebung, besonders Hernals wurde ein bedeutendes Zentrum der protestantischen Kultur.

Die Reformation lebte in Wien auch in den Zeiten der triumphierenden Gegenreformation weiter: als Geheimprotestantismus und in den Kapellen ausländischer Gesandtschaften. Schlusspunkt der Ausstellung bildet das Toleranzpatent Josephs II. aus dem Jahr 1781, das den Lutheranern und Kalvinern – mit Einschränkungen – freie Religionsausübung zugestand.

Mit drei herausragenden Originaldokumenten – den gedruckten Thesen Luthers von 1517, dem Augsburger Bekenntnis von 1530 und dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 – richtet die Ausstellung den Blick auch über Wien hinaus.

Kuratoren:
Rudolf Leeb, Walter Öhlinger, Karl Vocelka

Sophie Scholl - eine protestantische Heldin

Starke Frauen
"Ich merke, dass man mit dem Geiste (oder dem Verstand) wuchern kann, und dass die Seele dabei verhungern kann" - Sophie Scholl
Heute jährt sich der Todestag von Sophie Scholl zum 74. Mal. Sie wurde wegen ihres Mutes und ihrer unerschütterlichen Überzeugung, dass der Nationalsozialismus ein menschenverachtendes Regimes war, in München-Stadelheim hingerichtet. Doch wer war diese junge Frau, die es gewagt hat, mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter dem Terrorregime der Nazis zu widerstehen ?
Sie wuchs mit drei Geschwistern, ein viertes starb im Alter von einem Jahr, ganz kleinbürgerlich im fränkischen Forchtenberg, einem 4.900 Seelen zählenden Dorf auf und unterschied sich in nichts von anderen Jugendlichen der Zwischenkriegszeit. Ihre Eltern Magdalena, eine Diakonisse und ihr Vater Robert Scholl erzogen sie zu einer liberal denkenden jungen Frau, die dennoch zu Beginn an die Idee der Nationalsozialisten und ihrer Bewegung – so trat sie in den BDM (Bund Deutscher Mädchen)  ein – glaubte und zunächst begeistert mitmachte. Auch die Mutproben und sportlichen Herausforderungen sprachen die Heranwachsende an.
Doch nach dem „Reichsparteitag der Ehre 1936“ kam der innere Bruch mit dem Regime. An diesem Parteitag wurde die „Wiederbewaffnung Deutschlands“ in Wahrheit die Besetzung des Rheinlandes gefeiert, welche Deutschland an den Rand eines Krieges brachte. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass die Nazis Krieg wollten um die „Schande von Versailles“ zu revidieren. Gleichzeitig griffen die am Reichsparteitag 1935 erlassenen Judengesetze langsam und die Familie Scholl bekam deren Auswirkungen – Mutter Magdalena engagierte sich in der evangelischen Kirche – zu sehen. Sie wandte sich gemeinsam mit ihrem Bruder Hans (der später ebenfalls hingerichtet wurde) der „Deutschen Jungenschaft vom 1.11.1929“ zu, einer trotz Verbotes im Untergrund existierenden Jugendbewegung und trat damit erstmals aktiv in Opposition zum Regime. Die erste Verhaftung Sophies – wenn auch nur für wenige Stunden – erfolgte 1937, als die Polizei eine Versammlung der Deutschen Jugendbewegung sprengte.
Diese erste Verhaftung hatte jedoch noch keine Auswirkungen auf das Leben Sophies, das sich nicht anders entwickelte als bei anderen Heranwachsenden dieser Zeit: Sie lernte ihren Verlobten, Fritz Hartmann kennen und lieben. Bis knapp vor dem Krieg waren sie ein Pärchen, das auch einige Zeit lang in Weimar zusammenlebte. Der Krieg trennte die beiden und Sophie kehrte wieder in ihr Elternhaus zurück. Die Familie Scholl war mittlerweile nach Ulm umgezogen, wo Sophie 1940 eine Ausbildung als Kindergärtnerin am evangelischen Kindergärtnerinnen-Seminar von Emma Kretschmer begann. Emma Kretschmer begann ihre pädagogische Karriere in evangelischen Kindereinrichtungen für taubstumme bzw. damals als  unerziehbar geltende Kinder.
Durch ihre Ausbildung dort und das Studieren der christlichen Werke von Augustinos von Hippo, eines Kirchentheologen der antiken Urkirche verfestigte sich ihre Abneigung gegen das Regime, welches immer offener zu Tage trat. Sophie begann 1942 Biologie und Philosophie in München zu studieren und musste in den Ferien in einem Ulmer Rüstungswerk für die Kriegsrüstung arbeiten. In München traf sie im Umfeld des Freundeskreises ihres Bruders Hans eine Gruppe junger Menschen, die ebenfalls in Opposition zu den Nazis standen.
Es entstand im Juni 1942 (ein genaues Datum gibt es nicht) die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Mit Briefen, Aufrufen sowie Plakaten und Flugzetteln riefen sie zum Widerstand gegen das Regime auf. Bald fand man in vielen Telefonzellen, hinter Windschutzscheiben und in Postfächern in München ihre Aufrufe und Manifeste. Auch in anderen Städten wurden Flugblätter verteilt, einige davon erreichten sogar Großbritannien und schafften es in die BBC-News. Schliesslich wurde ihnen am 18. Februar 1943 eine Flugblattaktion im Universitätsgebäude der Uni München zum Verhängnis: der Hausmeister Jakob Schmid, ein parteitreuer SA Mann entdeckte die Gruppe und rief sofort die Gestapo. Die Geschwister Scholl wurden zunächst durch den Rektor der Uni verhört und anschliessend in die Gestapo-Zentrale in der Wittelsbacher Strasse gebracht. Nach zweitägigem Verhör, bei dem Sophie Scholl ihre Mitwisser schützen wollte, wurden beide Scholl-Geschwister vom eigens aus Berlin angereisten Blutrichter Roland Freisler zum Tode verurteilt, die Hinrichtung erfolgte am 22. Februar 1943 in München Stadelheim. Ihre Gräber befinden sich im Friedhof am Perlacher Forst.
Interessanterweise hatten die Aktionen der Weißen Rose weitreichendere Folgen als dem Regime genehm war: die Royal Air Force ließ tausende Flugzettel nachdrucken und warf diese im Herbst 1943 über deutschen Städten ab, BBC London veröffentlichte regelmässig Texte der Geschwister Scholl über ihre internationale Welle, welche auch in Deutschland gehört werden konnte. Wegen dieses „Feindsenderhörens“ wurde Sophies Vater Robert im Mai 1943 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Es ist nicht überliefert ob er dabei einen von Sophie verfassten Text hörte.
Nach dem Krieg wurden die Erinnerungen der Geschwister Scholl in Form von Tagebuchaufzeichnungen veröffentlicht. Ihr ehemaliger Verlobter Fritz wurde Richter und setzte sich in den Fünfzigerjahre (vergeblich) gegen eine Wiederbewaffnung der jungen BRD ein. Vater Robert widmete sein Leben dem Andenken an seine hingerichteten Kinder und war ein ewiger Mahner gegen Faschismus und Krieg.

·         Hans Scholl und Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen. Fischer, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-596-25681-X.

·         Thomas Hartnagel (Hrsg.): Sophie Scholl und Fritz Hartnagel. Damit wir uns nicht verlieren. Briefwechsel 1937–1943. Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-10-000425-6.


Prostestanten im Burgenland

500 Jahre Reformation: Gemeinsam feiern

Das diesjährige Jubiläumsjahr anlässlich 500 Jahre Reformation wird von allen drei evangelischen Kirchen in Österreich gemeinsam begangen - das gab der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker am Mittwoch in Eisenstadt bekannt.
Als Motto für das Jubiläumsjahr sei „Freiheit und Verantwortung seit 1517“ von den Gemeinden gewählt worden. Höhepunkt sei das ganztägige Reformationsfest am 30. September auf dem Wiener Rathausplatz. Dieses werde nach umweltfreundlichen Kriterien als „Green Event“ ausgerichtet.
Präsentation der Aktivitäten im Reformationsjubiläumsjahr
ORF
Präsentation der Aktivitäten zum Reformationsjubiläum
Es könne dankbar zur Kenntnis genommen werden, dass es sich um das erste Reformationsjubiläum in Europa im Zeitalter des Friedens und der Ökumene handle, unterstrich Bünker bei einer Pressekonferenz im Landesmuseum in Eisenstadt. „Dieses Reformationsjubiläum 2017 hat das erste Mal diesen starken ökumenischen, verbindenden Aspekt.“ Der Startschuss dafür sei im vergangenen November bei einer Klausur mit der römisch-katholischen Bischofskonferenz in Eisenstadt gefallen. Der burgenländische Superintendent Manfred Koch sprach in diesem Zusammenhang von einem „Meilenstein“.

Sonderausstellung im Landesmuseum

Im Burgenland seien heuer eine Reihe von Veranstaltungen vorgesehen, erklärte Koch. Darunter fänden sich Gottesdienste, Reisen, Glaubenskurse, Feste aber auch Kabarett. „Man darf in der Kirche auch lachen“, meinte er. Bei den Glaubenskursen gehe es darum den Kern des Glaubens besser wahrzunehmen und zu erleben, dass „der Glaube im Leben Halt und Zuversicht gibt“. Die Glaubenskurse würden in fast allen Gemeinden des Burgenlandes stattfinden, ergänzte die stellvertretende Superintendentialkuratorin des Burgenlandes, Christa Grabenhofer.
Ausstellungsstücke 500 Jahre Reformation
ORF
Ausstellungsstücke
Im Landesmuseum in Eisenstadt gibt es eine Sonderausstelltung zum Reformationsjubiläum mit dem Titel „Ein Christenherz auf Rosen geht“. Die Schau zeigt Bilder und Objekte aus Landebestand. Das älteste Ausstellungsstück dabei ist ein Bibelexemplar aus dem Jahr 1546. Die Ausstellung kann von 24. Februar bis 12. November besichtigt werden.

Rückblick und Ausblick

Das Jubiläumsjahr sei geprägt von Rückblick, Analyse der gegenwärtigen Situation und dem Weg in die Zukunft, so Koch. Er sprach weiters die Herausforderungen der heutigen Zeit für Kirchen an. „Auch in der evangelischen Kirche gibt es immer mehr Menschen, die sich loslösen und austreten.“ Er wünsche sich dieses Jahr einen „neuen Aufbruch, eine neue Motivation aus der Geschichte heraus“, sagte der Superintendent.
Die evangelische Kirche hat im Burgenland laut Koch rund 34.000 Mitglieder, österreichweit seien es an die 290.000. Das Burgenland habe prozentuell gesehen die meisten Mitglieder.