Vom Toleranzpatent bis zum Kirchenbau
Die kleine evangelisch-lutherische Gemeinde hat heute ihren festen Platz im geistig-geistlichen und kulturellen Leben der Bezirkshauptstadt Neusiedl am See. Das verdankt sie einerseits der Verlässlichkeit und Tatkraft ihrer Mitglieder, besonders ihrer gewählten Mandatare, andererseits aber auch dem erfreulichen Klima der Toleranz, Offenheit und Geschwisterlichkeit seitens der großen katholischen Schwesterkirche und der gesamten Stadtverwaltung.
Die
Wurzeln des evangelischen Lebens in Neusiedl sind aber nicht in der Stadt
selbst zu suchen, sondern in den evangelischen Dörfern ringsum. So wie in den
meisten burgenländischen Bezirken kam es kurz nach dem Erlass des
Toleranzpatents durch Kaiser Josef II. , 1781, zu Pfarrgemeindegründungen
außerhalb des Bezirkshauptortes. Die für Neusiedl maßgebliche evangelische
Pfarrgemeinde war denn auch die Gemeinde Gols, heute noch die größte
mehrheitlich evangelisch besiedelte Gemeinde Österreichs. Die paar
evangelischen Neusiedler der ersten Stunde waren dementsprechend in ihrem
geistlichen Leben, so wie alle übrigen evangelischen Seewinkler, nach Gols und
seiner bedeutsamen Pfarrkirche orientiert.
Aber
auch westlich von Gols nahm die Zahl der Evangelischen, namentlich durch
konfessionsverbindende Eheschließungen und den Zuzug von evangelischen
Flüchtlingen aus dem deutschen Osten, stetig zu. So entschloss sich die
Pfarrgemeinde, zentral für die Orte Weiden am See, Jois und Winden am See, in
Neusiedl eine Predigtstation zu errichten. Unterkunft für die Gottesdienste der
Predigtstation fand man in der Neusiedler Hauptschule. Und so sammelte denn
schon der ehrwürdige Senior Geistlinger, so wie nach ihm die Pfarrer Klettke
und Nußgruber, seine getreuen Gemeindeglieder aus Neusiedl und Umgebung in
einem Neusiedler Klassenzimmer auf Schulbänken und Schulsesseln um sich.
Der Bau der neuen Kirche
Auf Dauer konnte das jedoch keine Lösung sein und so tauchte der Plan auf, auch in Neusiedl eine evangelische Kirche zu errichten. 1978 begann das Golser Presbyterium, vehement durch die Superintendentur und den Superintendenten, Dr. Reingrabner, unterstützt, den Plan in die Tat umzusetzen. Der Baugrund für die Kirche in der Seestraße 30 wurde von der Superintendentur angekauft und zur Verfügung gestellt. Aber wer sollte als Bauherr fungieren? Weder die Superintendentur noch das Golser Presbyterium, sondern mit aller kirchlichen Unterstützung – natürlich die Neusiedler selbst! Da ergab sich allerdings ein gravierendes Problem: Eine Predigtstation ist keine Rechtspersönlichkeit, kann also keine Beschlüsse fassen und keine Geschäfte abwickeln. So überlegte man im Golser Presbyterium, entweder einen Bauausschuss für die Neusiedler Kirche einzurichten, oder die Predigtstation zur Tochtergemeinde zu erheben.
Zu
Recht erwarteten sich das Presbyterium in Gols und der Superintendent, dass die
Evangelischen aus dem Bereich der Predigtstation als eigenständige
Tochtergemeinde mehr Engagement zeigen würden, als wenn sie bloß mit einem
Bauausschuss konfrontiert worden wären. Und so wurden denn der Kirchenbau und
die Erhebung zur Tochtergemeinde gleichzeitig betrieben. Für den Kirchenbau
wurden ein Architekt und ein Baumeister gesucht, für die Tochtergemeinde ein
sechsköpfiges Presbyterium.
Bereit,
Verantwortung für die künftige Tochtergemeinde zu übernehmen, waren unter der
Führung von Herrn Michael Boschner von Anfang an: Frau Helga Depauly, Herr Ing.
Karl Taschner, Frau Frieda Weissmann, Herr David Nief und Herr Reinhold
Reister. Als Architekt konnte Herr Bürgermeister Dipl.-Ing. Hans Halbritter
gewonnen werden, mit der Errichtung des Neubaues wurde die Firma Brezina aus
Frauenkirchen betraut. Blieb nur mehr die Frage der Finanzierung. Da musste es
plötzlich sehr schnell gehen, denn der Gustav-Adolf-Verein, ein kirchliches
Hilfswerk, bot an, die Geldmittel aus der Gustav-Adolf-Kindersammlung 1986, in
etwa 2 Millionen Schilling ( € 140.000.-), für den Kirchenbau in Neusiedl zu
widmen. Damit war der tragende Pfeiler der Finanzierung gesichert.
Bis
Weihnachten 1986 wurde der Rohbau der Kirche ausgeführt, am 5. Juli 1987 wurde
sie von Herrn Superintendent Dr. Gustav Reingrabner bereits feierlich
eingeweiht.
Von der Predigtstation zur Tochtergemeinde
Der Kirchenbesuch in der neuen Kirche, einem Schmuckstück des
evangelischen Kirchenbaus in Österreich, war und blieb erfreulich. Die offen
gebliebenen Finanzierungslasten wurden weitgehend von den Mitgliedern der
Tochtergemeinde selbst übernommen und getragen, wobei nicht unerwähnt bleiben
darf, dass es auch in der katholischen Schwesterkirche, aus dem Munde des ehrwürdigen
Herrn Dechant Dr. Hannes Kohl, einen Spendenaufruf zugunsten unserer neu
errichteten Kirche gab. Mit Bescheid des Evangelischen Oberkirchenrates vom 29.
September1987 traf die offizielle Bestätigung der Erhebung zur Tochtergemeinde
in der Muttergemeinde Gols ein.
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